Habitat, Aussehen, Potenz
Wenn der Herbst die Wälder in ein Bad aus bunten Farben taucht, weckt das auch unsere einbeinigen Freunde, die sich in allen Farben und Formen, am Boden und auf Bäumen, auf Wiesen und im Kühlschrank tummeln. Pilze, die sich weder als Tier noch als Pflanze kategorisieren lassen, begleiten die Erdgeschichte schon seit 1 Milliarde Jahre (https://www.nationalgeographic.com/science/2020/01/oldest-fungus-fossils-found-earth-history/) und ohne sie wäre ein Leben auf dem Land für Pflanzen gar nicht denkbar (https://www.nature.com/articles/ncomms1105).
In vielen schamanistischen Kulturen wird der Pilz als Gottheit verehrt.
Genau genommen: Pilze der Gattung Psilocybe. Die Gründe dafür dürften Jedem, der ausversehen schon mal so einen Pilz verschluckt hat offensichtlich erscheinen. In Deutschland haben wir zwar keine schamanistische Kultur, aber die Mittel dafür liegen wortwörtlich vor unseren Füßen. Dabei beziehe ich mir hier besonders auf einen Pilz, der sich in den letzten Jahren stark verbreitet hat.
Wo soll ich suchen?
Der blaufärbende Kahlkopf (Psilocybe cyanescens) ist ein Saprobiont aus der Familie der Träschlingsverwandten aus der Ordnung der Champignonartigen.
Neben dem Spitzkegeligen Kahlkopf (Psilocybe semilanceata) ist er wohl der am häufigsten anzutreffende Pilz aus der Gattung Psilocybe in Deutschland.
Aber im Gegensatz zu Psilocybe semilanceata, der schon seit 12.000 Jahren in Italien heimisch ist und sich in der Schweiz schon eine ritualisierte Sammelkultur gebildet hat (Rätsch: 1998), ist Psilocybe cyanescens erst in den 50er Jahren eingeschleppt worden.
Wie er als Neomycet nach Deutschland gelangte, ist nicht eindeutig geklärt.
Vermutet wird, dass er sich durch die Einfuhr von Mulch aus Nordamerika ausbreiten konnte. Der erste Fund in Deutschland wurde 1959 im Schwarzwald registriert.
Durch die Verbreitung über Mulch liegt sein Habitat immer sehr nah am Menschen. Überall wo viel künstlich gemulcht wurde, es schattig und feucht ist, fühlt er sich besonders wohl – also in Parks oder botanischen Gärten mit waldähnlicher Struktur. Teilweise hat er sich auch schon in Waldgebieten verbreitet (folgende Grafik aus: Gießler: 2016).
Wie sieht er aus?
Der englische Name wavy cap deutet schon auf seine besondere Erscheinung hin, die ihn leicht identifizierbar macht. Die Hutkappe ist im ausgewachsenem Stadium stark gewellt und reicht von grau- bis haselnussbraun. Sie ist zudem hygrophan, bleicht also bei Trockenheit zu einem blassen Ockergelb aus. Die Lamellen sind im frühen Stadium hellgrau/braun und werden mit dem Alter und den fallenden Sporen immer dunkler, bis sie ein tiefes Dunkelbraun annehmen. Der Stiel ist weiß und faserig. Wie die Hutkappe auch, verfärbt er sich bei Verletzungen grün-bläulich. Diese typische Verfärbung und die Farbe der Sporen (schwarzbraun bis dunkelviolett) sind gute Indikatoren um Verwechslungen zu vermeiden. Ihr solltet euch nämlich nicht auf Bilder aus dem Internet verlassen, da diese oft falsch klassifiziert sind. Ein gefährlicher Verwechslungskandidat ist der Gifthäubling Galerina marginata. Im jungen Stadium sind diese beiden Pilze fast nicht zu unterscheiden. Um eine Verwechslung auszuschließen, hilft der Sporenabdruck. Dazu legt ihr die Hutkappe mit den Lamellen nach unten auf ein weißes Stück Papier und wartet einige Stunden ab. Die Sporenfarbe des Galerina marginata ist Rostbraun. Aber von den Jungen sollte man sowieso die Finger lassen da diese noch nicht die Chance hatten, auszusporen.
Wie potent ist er?
Die Angaben zur Potenz schwanken je nach Quellenlage und persönlichen Erfahrungsberichten stark.
Einiges weist allerdings auf eine circa doppelt so hohe Potenz wie der häufig kultivierte Psilocybe cubensis hin.
Nach Gartz (1993) enthalten Nordamerikanische Exemplare bis zu 2% Psilocybin und Psilocin in der Trockenmasse, europäische Exemplare 0,33-0,71% Psilocybin (Gartz: 1998). Andere Untersuchungen berichten von einem Psilocybingehalt von 0.85% und 0.36% für Psilocin (Stijve und Kyuper: 1985).
Nach dem Sammeln solltet ihr euch allerdings nicht sofort auf die Reise machen, wenn ihr auf Nummer sicher gehen wollt.
Besonders in der freien Wildbahn sind Parasiten ein häufiger Passagier, welche sich durch gründliche Trocknung (70°C) und anschließende Verwahrung im Gefrierschrank beseitigen lassen.
Für die langfristige Lagerung solltet ihr euch aber wiederum einen dunklen Fleck bei Zimmertemperatur suchen, wie Kuchar et al. durch eine neue Studie zeigten (Kuchar: 2020).
Wood Lovers Paralysis – Moment…was?!
Der Psilocybe cyanescens ist ein Saprobiont, also ein Folgezersetzer von Holzresten.
In diversen Foren und anderen Online-Plattformen geistern seit einiger Zeit Berichte über eine temporäre Paralyse, die sogenannte Wood Lovers Paralysis.
Bei diesem Phänomen berichten einige Konsumenten von Lähmungen in Extremitäten und Gesicht, wobei deren Intensität mit der Höhe der Dosis im Zusammenhang zu stehen scheint.
Leider ist das Phänomen bisher noch kaum erforscht, es ranken sich in diversen Foren allerdings schon einige Mythen darum, wobei andere die Existenz davon komplett in Frage stellen.
Die Symptome für diese WLP lassen sich wie folgt zusammenfassen:
- Treten 4-6 Stunden nach Einnahme auf und klingen meist nach 24 Stunden wieder ab
- Teilweise Lähmung des Gesichts und Bewegungsunfähigkeit in den Gliedmaßen
Als Gegenmittel haben sich Antihistaminika wie Benadryl bewährt.
Bevor sich aber nun jemand präventiv mit Benadryl intus auf die Reise begeben möchte soll nochmal betont werden: Die WLP ist extrem wenig erforscht.
Einige Forscher zweifeln deren Existenz sogar vollkommen an.
Es ist bisher nicht bekannt, ob das Phänomen in Europa überhaupt auftritt, möglicherweise beschränkt es sich auf Nordamerika oder auf das Mindset der Konsumenten.
Eine ausführliche Zusammenfassung findet ihr hier: https://psychedelicreview.com/wood-lover-paralysis-unsolved-mystery/
Bevor es los geht…
Zu guter Letzt noch eine kleine Sammel-Etikette, damit wir alle möglichst lange von den kleinen Rackern profitieren können.
- Achtet beim Sammeln auf die kleinen Exemplare, man zertritt sie leicht
- Versucht das Myzel beim Ernten nicht unnötig zu verletzen, sonst öffnet ihr Tür und Tor für Bakterien, was das Myzelium schrumpfen lässt
- Verschließt mögliche Löcher im Myzel wieder mit Erde oder Laub
- Erntet nur die Exemplare, die schon sichtlich ihre Sporen abgeworfen haben
- Lasst noch etwas für die nächsten übrig
Der Psilocybe cyanescens hat sich in Deutschland inzwischen fest etabliert. Wenn man ihn einmal im Garten oder im Park hat, dann wird man ihn auch so schnell nicht wieder los.
Das klingt ausgezeichnet, ist es auch. Er lässt sich nämlich hervorragend kultivieren. Mit etwas gesammeltem Myzel und Mulch, kann sich jeder engagierte Hobbygärtner sich und seiner Umwelt etwas Freude bereiten.
Quellen:
Gartz, Jochen (1998). “Observations on the Psilocybe cyanescenscomplex of Europe and America”.
Gießler, Alexander: Cyanescens in germany – Ecology and Taxonomy of an Invasive Neomycete. (Dissertation) Georg-August-Universität Göttingen, 2016. (http://hdl.handle.net/11858/00-1735-0000-002E-E322-0)
Gotvaldová, K, Hájková, K, Borovička, J, Jurok, R, Cihlářová, P, Kuchař, M. Stability of psilocybin and its four analogs in the biomass of the psychotropic mushroom Psilocybe cubensis. Drug Test Anal. 2020; 1– 8.
Rätsch, Christian: Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen. AT-Verlag Aarau, 1998.
Stijve, T.C., and T.W. Kuyper: Occurence of psilocybin in various higher fungi from several European countries. Planta Medica 51 (5), 1985; 385-387.